Andreas Eckert & Anke Sodogé

Kooperation mit Eltern

Die Kooperation mit Eltern stellt ein zentrales Qualitätsmerkmal inklusiver Bildungsprozesse dar (u. a. Booth & Ainscow 2002). Aus der Perspektive gegenwärtiger Schulentwicklung hat der Gedanke der Kooperation mit den Eltern im Kontext der Auseinandersetzung mit wachsender Heterogenität im Bildungssystem in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Fürstenau und Gomolla (2009, 13) fassen dies folgendermaßen zusammen:

 

„Schulen, die sich auf die Heterogenität der Bildungsvoraussetzungen und -bedürfnisse einstellen wollen, müssen spezifische Strategien entwickeln, um alle Eltern zu involvieren, zu informieren und in einem gewissen Rahmen auch zu bilden.“

 

Die Grundannahme, dass die Kooperation zwischen Schule und Elternhaus positive Auswirkungen sowohl auf den allgemeinen Bildungserfolg als auch auf die soziale Integration und die emotionale Befindlichkeit von Kindern und Jugendlichen hat, lässt sich mit den Expertisen der Schulwirksamkeitsforschung (Neuenschwander et al. 2005; Helmke und Weinert 1999) belegen, die u. a. den Einfluss familiärer Lernbedingungen auf den Schulerfolg nachweisen. Neuenschwander et al. (2005, 96 ff.) führen neben statischen Elternmerkmalen wie kognitiven Ressourcen oder vorhandenen Bildungsabschlüssen eine Vielzahl prozessualer Merkmale an, die durch eine gezielte Zusammenarbeit mit den Eltern verändert werden können. Henderson & Berla (2004, 1) referieren ähnliche Forschungsergebnisse aus dem englischen Sprachraum und fokussieren ein aus heilpädagogischer Sicht besonders bedeutsames Ergebnis, wenn sie die guten Schulabschlüsse von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und Familien mit Migrationshintergrund als Resultat einer gelungenen Kooperation benennen. Resümierend kann festgehalten werden, dass die Kooperation von Eltern und Fachleuten positive Auswirkungen hat, wenn der zentrale Stellenwert der Familie im individuellen Bildungsprozess zur Kenntnis genommen wird und gleichzeitig das Verhältnis von Schule und Familie als prozessual, beweglich und beeinflussbar begriffen wird.

Der Erfolg der Zusammenarbeit zwischen einer Institution und den Eltern wird entscheidend von der Art und Weise ihrer Gestaltung beeinflusst. Zu diesen Gelingensbedingungen der Kooperation liegen zahlreiche Forschungsergebnisse vor (u. a. Epstein et al. 2009; Henderson & Berla 2004; Krumm 1996; Neuenschwander et al. 2005; Sacher 2008; Sodogé & Eckert 2007).

Diese Resultate und Vorschläge berücksichtigend wird folgend ein Rahmenmodell zur Betrachtung der Kooperation mit Eltern unter dem Fokus der Heil- und Sonderpädagogik vorgestellt. Zielsetzung ist es dabei durch die Formulierung von Gelingensbedingungen zum einen, die konkreten Konditionen der Kooperation aus der wissenschaftlichen und der institutionsbezogenen Perspektive zu beleuchten und zum anderen, die Aufdeckung von Stärken und Schwächen im Handlungsfeld Kooperation mit Eltern zu ermöglichen. Das Rahmenmodell (s. Tab. 1) umfasst die Hauptkategorien: Grundlagen, Inhalte, Gestaltung und Haltungen der Zusammenarbeit; jeder Hauptkategorien werden vier  bzw. fünf untergeordnete Kategorien zugeordnet.

 

GRUNDLAGEN DER ZUSAMMENARBEIT

GESTALTUNG DER ZUSAMMENARBEIT

INHALTE DER ZUSAMMENARBEIT

HALTUNGEN IN DER ZUSAMMENARBEIT

Konzeptionelle Verankerung

Vielfältigkeit

und Flexibilität

Informationsangebote

Positive Atmosphäre

Zeitlicher Rahmen

Regelmäßigkeit

Beratungsangebote

Wirksamkeits-überzeugung

Räumliche Bedingungen

Vernetzung

(intern/extern)

Familienunterstützung

Ressourcen-

orientierung

Fachliche Kompetenz

Planung

und Dokumentation

Ermutigung

zur Beteiligung

Gleichberechtigung

 

 

Entscheidungsfindung

 

Tab. 1: Kriterienkatalog zur Zusammenarbeit von Eltern und sonderpädagogischen Fachkräften

(Eckert, Sodogé & Kern 2012)

 

Zu den Grundlagen zählen im wesentlichen Aspekte, die sich auch unter dem Begriff Rahmenbedingungen zusammenfassen lassen. Zum einen ist dies die Frage nach dem Konzept, wozu auch die nicht schriftlich fixierten institutionsübergreifenden Regeln und Regelmässigkeiten der Zusammenarbeit gerechnet werden können, zum anderen zählt hierzu die Betrachtung der zur Verfügung stehenden Arbeitszeit und der in der Institution zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Darüber hinaus geht es um die kooperationsbezogenen Kompetenzen der Fachpersonen, wie z. B. Beratungs- oder Organisationskompetenzen.

Zum Bereich der Gestaltung gehört die Betrachtung der Vielfalt der Formen der Zusammenarbeit. Des Weiteren die Untersuchung der vorhandenen Flexibilität, die Angebote an die Bedarfe und Bedürfnisse auf den Seiten der Beteiligten anzupassen und sie regelmäßig, d.h. über ein gesetzliches Mindestmaß hinaus und zudem unabhängig von konkreten Auslösern (z. B. akuten Problemsituationen) zu gewährleisten. Mit Vernetzung ist die Verbindung und Koordination der pädagogisch-therapeutischen Angebote sowohl innerhalb der Institution als auch nach außen gemeint. Planung und Dokumentation beschreibt schließlich einen systematischen Umgang mit der Vorbereitung, den Zielsetzungen und Abläufen der konkreten Gestaltung der Zusammenarbeit.

In der Kategorie Inhalt geht es um die klassischen Inhalte der Informationsweitergabe zur Entwicklung und Förderung der Kinder und Jugendlichen sowie der Beratung von Eltern in Entscheidungsprozessen und herausfordernden Situationen. Mit Familienunterstützung wird nach dem Bestreben der Institution gefragt, die Eltern konkret bei der Entwicklungsförderung ihrer Kinder zu unterstützen, sie anzuleiten oder zu begleiten. Ermutigung zur Beteiligung beschreibt das aktive Zugehen auf Eltern, mit dem Ziel, sie auf unterschiedlichen Ebenen (z. B. Gremienarbeit, Klassen-, Schulanlässe) in das Schulleben einzubeziehen. Entscheidungsfindung umfasst schließlich Transparenz und Klärung in Bezug auf anstehende Entscheidungsprozesse im schulischen Kontext.

Die Kategorie Haltungen macht deutlich, dass Kooperation eine Auseinandersetzung auf der Ebene des Berufsethos verlangt. Bedeutsam ist die Frage nach den Merkmalen der Atmosphäre, in der Zusammenarbeit stattfindet. Es geht auch um die Auseinandersetzung mit den persönlichen Glaubenssätzen bezüglich der Wirksamkeit der Arbeit mit Eltern und dem Vertrauen in die Ressourcen von Eltern und ihren Nutzen für die pädagogisch-therapeutische Arbeit. Weiterhin soll erfragt werden, ob es gelingt, Eltern als Experten für ihre Kinder sowie als gleichberechtigte Partner im Prozess der Entwicklungsförderung zu akzeptieren.

(Angepasster Auszug aus dem Artikel: Sodogé, A. & Eckert, A. (2012): „Kooperation mit Eltern als Qualitätsmerkmal inklusiver Bildungsprozesse“. In: Berufsverband der Heilpädagogen (BHP) (Hrsg.). !Gemeinsame Wege – Inklusion als Auftrag und Anspruch der Heilpädagogik!. Berlin. S.97-104)

 

Literatur:

Booth, T. & Ainscow, M. (2002): Index for Inclusion, Centre for Studies on Inclusive Education (UK). www.csie.org.uk/publications/inclusion-index-explained.shtml (Zugriff: 25.11.2012)

Eckert, A., Sodogé, A. & Kern, M. (2012): Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenarbeiten ein Erfolg. Kriterien für eine gelingende Zusammenarbeit von Eltern und sonderpädagogischen Fachkräften im schulischen Kontext. In: Sonderpädagogische Förderung heute, 57 (1), S. 76-90.

Epstein, J. L., Sanders, M. G., Sheldon, S. B., Simon, B. S., Clark Salinas, K., Rodriquez Jansorn, N. et al. (2009): School, Family, and Community Partnerships. Your Handbook for Action (3. Auflage). Thousand Oaks, California: SAGE.

Fürstenau, S., Gomolla, M. (Hrsg.) (2009): Migration und schulischer Wandel. Elternbeteiligung. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.

Helmke, A., Weinert, F. E. (1997): Bedingungsfaktoren schulischer Leistung. In: Weintert, F. E. (Hrsg.): Enzyklopädie der Psychologie. Band 3: Psychologie des Unterrichts und der Schule. Göttingen: Hogrefe, S. 71-176.

Henderson, A. T. & Berla, N. (Hrsg.) (2004): A New Generation of Evidence. The family is critical to student achievement. Washington, DC: National Committee for Citizens in Education.

Krumm, V. (1996): Schulleistung – auch eine Leistung der Eltern. Die heimliche und die offene Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern und wie sie verbessert werden kann. In Specht, W. & Thonhauser, J. (Hrsg.): Schulqualität. Innsbruck: Studien-Verlag, S. 256-290.

Neuenschwander, M. P.; Balmer, T.; Gasser-Dutoit, A.; Goltz, S.; Hirt, U. & Ryser, H. (2005): Schule und Familie. Was sie zum Schulerfolg beitragen. Bern: Haupt.

Sacher, W. (2008): Elternarbeit, Gestaltungsmöglichkeiten und Grundlagen für alle Schularten. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Sodogé, A.,  Eckert, A. (2007): Kooperation mit den Eltern - ein Hindernislauf? Zehn mögliche Kooperationshindernisse und die Suche nach Lösungsansätzen – Spielregeln und ihre Hintergründe verstehen und verändern. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (3), S. 195-211.

 

 

Kontakt:

Prof. Dr. Andreas Eckert & Prof. Dr. Anke Sodogé

Hochschule für Heilpädagogik Zürich

Schaffhauserstrasse 239

8050 Zürich

andreas.eckert@hfh.ch / anke.sodoge@hfh.ch

 

Dezember 2012

 

Quellenverweis: http://www.inklusion-lexikon.de/KooperationmitEltern_EckertSodoge.php